Die perfekte Illusion in Bild und Klang

28.12.2021

Die coronabedingten Abstandsregeln für Choristen erforderten eine außergewöhnliche Lösung, um die Aufführungen des Bayreuther Festspielhauses zu ermöglichen. Eine Chorhälfte agierte szenisch auf der Bühne, während der Gesang des übrigen, entfernt singenden Chores eingespielt wurde. Für die aufwendige Realisierung der elektroakustischen Übertragung war u. a. Müller-BBM Acoustic Solutions GmbH verantwortlich.

Festspiele unter Corona-Bedingungen sind eine extreme Herausforderung für alle Beteiligten. Nach den zahlreichen kurzfristigen Absagen in der Festspielsaison 2020 standen in diesem Jahr mehr Vorbereitungszeit und ein zumindest etwas zuverlässigeres Wissen um die Anforderungen und rechtlichen Rahmenbedingungen für große Kulturveranstaltungen zur Verfügung. Hinzu kam der durch den bislang unvorstellbaren Ausfall der letzten Bayreuther Festspielsaison gestählte Wille aller Beteiligten, jetzt das Unmögliche möglich zu machen.

Für die Bayreuther Festspiele bedeutete dies, neben einer Vielfalt an zusätzlichen Herausforderungen wie dem Aufbau einer umfangreichen Test-Infrastruktur, auch die Suche nach einer Lösung für den Festspielchor. Die rechtlichen Abstandsvorgaben für den Chor mit einer Entfernung von 6 Metern nach vorne und 3 Metern zur Seite zum nächsten Choristen waren durchweg in allen Bayreuther Inszenierungen unmöglich umsetzbar. Als Alternative blieben daher nur ein Auslagern des Chores und eine elektroakustische Übertragung auf die Bühne des Festspielhauses. Realisiert werden sollte dies durch die Aufteilung des Chores in eine Hälfte, die im Chorsaal singt, während die andere Hälfte stumm auf der Bühne agiert. Der Chor im Chorsaal musste dann mit Mikrofonen aufgenommen und über Lautsprecher live in das Festspielhaus übertragen werden. Das von der Festspielleiterin Katharina Wagner vorgegebene Ziel war dabei eine höchstmögliche Natürlichkeit im Klangbild zu erreichen, so dass die Illusion eines singenden Chores auf der Bühne entstehen kann und das Gesamterlebnis für die Zuhörer stimmig und ablenkungsfrei bleibt.

3D-Audio-Lösung und viele Fragen – von Mikrofonierung bis Monitoring

Dass sich dieses Ziel nicht mit einer herkömmlichen Stereobeschallung erreichen lässt, war klar ersichtlich. Die Aufgabe war nur durch den Einsatz moderner Verfahren der 3D-Audio-Beschallung lösbar. Doch wie sieht das dafür geeignete Lautsprecherlayout aus, wenn die angestrebte Natürlichkeit sichergestellt sein muss, aber jeder zusätzliche Lautsprecher in den komplexen Betriebsabläufen der Festspiele eine echte Belastung darstellt? Auch die erforderliche Mikrofonierung im Chorsaal, das Monitoring für die Choristen und die Details der benötigten Klanggestaltung waren offene Fragen, die es in einer Reihe von Tests und Versuchsaufbauten zu klären galt.

Der erste größere Test fand Mitte Dezember 2020 im Festspielhaus statt. Dabei wurde der Bereich des Portalrahmens mit fünf kleinen an einem Bühnenzug abgehängten d&b T10-Line-Arrays und sechs Bühnenrandlautsprechern ausgestattet. Auf beiden Seiten der Bühnenöffnung wurden Fohhn Focus Modular Linienstrahler abgehängt. Diese waren bereits früher zur Festinstallation für Sprachbeschallungen und Effekte geplant gewesen, so dass der Aufbau gleichzeitig als Qualitäts- und Optimierungstest für diese Beschallungsaufgaben dienen konnte. Auf der leeren Bühne wurden auf Stativen d&b E8 Lautsprecher an Positionen aufgestellt, die sich in drei exemplarisch ausgewählten Bühnenbildern unterbringen lassen würden.

Für die Wiedergabe standen bei diesem Test Aufnahmen der Bühnenrandmikrofone von den Festspielen 2019 zur Verfügung. Diese wurden als Klangobjekte auf der Bühne verteilt und mit Hilfe eines Vivace 3D Audio Prozessors mit den geeigneten Pegeln und Delays entsprechend auf die Lautsprecher verteilt. Parallel dazu waren als Testaufbau im Chorsaal für vier Choristen speziell für diesen Zweck entwickelte Kabinen aufgebaut. Um die Gefahr einer gegenseitigen Ansteckung der Choristen bei den räumlich möglichen und für das gemeinsame Singen erforderlichen kleinen Abständen zu minimieren, musste für jeden einzelnen Sänger ein Aerosolschutz nach hinten und zur Seite geschaffen werden. Die dafür von den Festspielen gebauten Kabinen bestehen aus einer Holzunterkonstruktion, die im oberen Bereich mit einer durchsichtigen und weitgehend schalltransparenten Folie bespannt war und im unteren Bereich mit einem absorbierenden Moltonstoff. Auf diese Weise war die Sicht auf den Dirigenten sowie das gegenseitige Hören zumindest noch in Ansätzen gegeben. Sehr vorteilhaft dabei war die arenaförmige Anordnung und Stufung der Chorplätze im Chorsaal.

Testen, planen und finalisieren

Neben der Bestätigung der grundsätzlichen Machbarkeit brachte dieser erste Test zahlreiche Erkenntnisse für die weitere Planung und Umsetzung der Chorübertragung. Auf dieser Basis konnten öffentliche Ausschreibungen für die anzumietenden und fest installierten Komponenten in die Wege geleitet werden, so dass Ende März 2021 ein weiterer Testaufbau im Festspielhaus mit dem dann schon weitgehend finalen Equipment durchgeführt werden konnte. Bei diesem Test waren die Linienstrahler seitlich am Portalrahmen bereits fest installiert und denkmalschutzgerecht verkleidet. In die fahrbare Portalbrücke waren Öffnungen für die Line-Arrays geschnitten worden, so dass auch diese Lautsprecher bereits an den finalen Positionen montiert werden konnten. Die Lautsprecher in den Bühnenbildern wurden wieder mit Hilfe von freistehenden Stativen auf der leeren Bühne realisiert. Im Chorprobensaal waren bereits alle 70 Einzelkabinen aufgebaut. Ein oberhalb der Kabinen eingehängtes grobmaschiges Stahlnetz schuf die Möglichkeit zur exakten Positionierung und störungsfreien Verkabelung der Mikrofone. Über eine neu verlegte Lichtwellenleiter-Verbindung wurden die Mikrofonsignale in das Festspielhaus übertragen und in der Gegenrichtung die Klavier-Mikrofone im Orchestergraben in den Chorsaal geschickt. Zur Steuerung und Signalverteilung stand im Zuschauerraum ein angemietetes Yamaha PM7 Mischpult mit Breakout-Boxen im Chorsaal und bei den Verstärkern auf der Bühne zur Verfügung.

Für den Termin konnte kurzfristig der Chor der Oper Chemnitz gewonnen werden, so dass bereits unter weitgehend realen Bedingungen getestet werden konnte. Neben großen Fortschritten bei der erreichten Klangqualität erbrachte dieser zweite Testlauf im Festspielhaus einige wichtige Optimierungsschritte. So wurde die Mikrofonierung auf 38 Einzelmikrofone erweitert, die dann als 38 Klangobjekte auf der Bühne positioniert und bewegt werden konnten. Für den Chor erwies sich das Monitoring über Drahtlos-Kopfhörer als gangbarer Weg, so dass das Einsprechen einer Monitorbeschallung in die Mikrofone vollständig vermieden werden konnte. Für das Lautsprecherlayout erbrachte der Test den Nachweis, dass die in den Bühnenbildern zu verbauenden Lautsprecher einen wichtigen Einfluss auf die Plastizität und Tiefenwirkung des Klangbildes haben und daher für die angestrebte Natürlichkeit von großer Bedeutung sind. Die Aufteilung der Schallenergie des Chores auf die Lautsprecher im Bühnenbild und auf die Lautsprecher um das Portal herum konnte sehr gut sicherstellen, dass sowohl für die Solisten und den spielenden Chor auf der Bühne wie auch für die Musiker im Orchestergraben durch die Choreinspielung keine unangenehm hohen Schallpegel entstanden.

Darüber hinaus wurde klar, dass zur Natürlichkeit auch die Reaktion des Raumes auf die über Lautsprecher wiedergegebenen Chorstimmen gehört. Im direkten Vergleich mit dem coronakonform über der Bühnenfläche verteilten Chor wurde klar, dass mit den pro Bühnenbild zur Verfügung stehenden Lautsprechern der berühmte Raumklang von Bühne und Festspielhaus nicht adäquat angeregt werden kann. Bis zu Beginn der Probenphase im Mai 2021 wurden daher noch acht zusätzliche Lautsprecher im Zuschauerraum installiert. Mit Mitteln der elektronischen Raumakustik konnte so die passende Einbettung der Chorsignale in den Raumklang erreicht werden sowie die natürliche Verbreiterung des Chorklanges in den höheren Dynamikstufen.

Anpassungen und Anschlüsse für Lautsprecher im Bühnenbild

Für die Werkstätten und die Tonabteilung der Festspiele begann im Anschluss an diesen Test eine sehr aufreibende Zeit. Für die Bühnenbilder aller Chorszenen aus den 2021 vorgesehenen Produktionen Meistersinger, Tannhäuser und Holländer mussten geeignete Lautsprecherpositionen realisiert werden. In Abstimmung mit den Bühnenbildnern der Produktionen wurden dafür Ausschnitte in die größtenteils bestehenden Bühnenbildteile geschnitten und schalltransparent wieder so verschlossen, dass möglichst kein Unterschied wahrnehmbar ist. Eine eigentlich unlösbare Aufgabe, die die Bühnenmaler der Festspiele mit Bravour gemeistert haben. An Positionen auf leeren Bühnenflächen oder im Bereich einer mobilen Drehbühne kamen Lautsprecher zum Einsatz, die mit Funkempfängern und Akkus ausgestattet waren und teilweise von den Chorstatisten in Position gebracht wurden. Für diese Lautsprecher waren zusätzliche Verkleidungen passend zum Bühnenbild zu gestalten. Die Tonabteilung musste in dieser Zeit ein aufwändiges Konzept erstellen und umsetzen, wie die ganzen Lautsprecher angeschlossen werden und wie gerade bei offenen Verwandlungen alles reibungslos funktionieren kann. Insgesamt waren in den Bühnenbildern 42 fest montierte Lautsprecher und 18 Lautsprecher mit Akkubetrieb in Verwendung. Eine besondere Herausforderung für die Steuerung im 3D-Audio Prozessor stellten die bei der Holländer-Inszenierung in den ferngesteuert fahrbaren Häusern untergebrachten Lautsprecher dar. Glücklicherweise ergab sich mit der Finalisierung des Regiekonzeptes, dass die Häuser nicht während der Chorszenen verfahren werden mussten.

Finetuning und magische Momente

Vor Beginn der Bühnenproben mit Chorbeteiligung wurden im eng getakteten Terminplan des Hauses für jede Produktion jeweils ein voller Tag freigeschaufelt, an dem die relevanten Bühnenbilder der Reihe nach aufgebaut wurden und anschließend die technische Einmessung der gesamten Anlage durchgeführt wurde. Im Rahmen der dann folgenden Klavier- und Orchesterproben wurden die Positionen und Bewegungen des Chores auf der Bühne programmiert und die klanglichen Einstellungen optimiert. Speziell zur Feinabstimmung des Chorklanges mit dem Chordirektor und der künstlerischen Leitung gab es darüber hinaus noch zwei extra hinzugefügte Chorproben. Die Tonmeister der Festspiele steuerten während der Proben vom Saalmischpultplatz aus sowohl die Positionen der Choristen auf der Bühne als auch Zuspielpegel oder die Filterung der Einzelmikrofone. Mit Beginn der Generalproben wurde die gesamte Bedienung in eine Loge im 1. Rang verlagert, was die korrekte Pegelsteuerung nochmals anspruchsvoller machte. Parallel dazu musste die Tonabteilung Mikrofonierung und Monitoring im Chorsaal überwachen sowie für eine reibungslose Kommunikation zwischen Dirigent im Saal, Chordirigent, Bühne und Regisseur sorgen. Die großartig gelungene, dichte Verzahnung der tontechnischen Aufgaben und Anforderungen mit so vielen technischen Gewerken des Hauses und dem gesamten künstlerischen Stab ist eine der großen Besonderheiten dieser Festspielzeit. Ein vielschichtiger und transparenter Chorklang für alle Zuhörerplätze im Festspielhaus mit natürlicher Lokalisation und Klangdynamik waren der Lohn für den gewaltigen und kräftezehrenden Aufwand aller Beteiligten. Bei der konzertanten Parsifal-Aufführung mit Christian Thielemann gegen Ende der Spielzeit konnten sich so wirklich magische Momente entwickeln. Ein Resultat, das nur möglich war mit dem unbedingten Willen aller die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen und in den Dienst der Musik zu stellen.

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